Eine Zeit wie diese haben wir alle noch nie erlebt, und werden es hoffentlich auch nie wieder erleben müssen. Eine positive Denkweise ist nun das A und O, um gut aus der Krise rauszukommen. Trotzdem finde ich es falsch, gegen außen hin immer nur zu zeigen, dass alles gut ist. Es ist ja eigentlich alles gut, ich lebe ein privilegiertes Leben, habe Familie, Freunde, Freund, und auf der Straße lande ich dank deren Unterstützung auch nicht so schnell. Ich genieße und schätze das sehr. Diese Pandemie ist für mich trotzdem nicht leicht. Momentan ist es harte Arbeit, diesen Beruf motiviert und positiv anzugehen. Um euch ein Bild von meiner Lage zu machen, erzähle ich euch in Phasen, was Corona mit mir macht.
Phase 1 – Der Sturm vor der Ruhe
Der Terminkalender ist voll, es stehen Vorsingen, Konzerte, Vorstellungen, Unterrichte, Wettbewerbe, und alle dafür notwendigen Proben und Reisen an. Eine adrenalinreiche Mischung aus Vorfreude und Lampenfieber, so, wie ich es kenne und mag. Im Hinblick auf die nahe Zukunft habe ich Projekte, auf die ich mich riesig freue, und habe in der Berufshektik eine Art Ruhe gefunden. Ich habe keine Angst mehr vor der Zukunft - ob dies berechtigt ist oder nicht, sei dahingestellt, aber es bedeutet für mich einen großen Schritt, mich von der Angst verabschiedet zu haben. Ich habe lange Zeit gebraucht, um zu begreifen, dass man nicht alles beeinflussen kann. Dass es manchmal auch reicht, sein Bestes zu geben, und darauf zu vertrauen, dass alles so kommen wird, wie es kommen soll. Qué será, será.
Phase 2 - Der Fall
Ich bin gerade bei einem Vorsingen. Corona ist schon in Europa angekommen, aber niemand ahnt etwas von dem Tsunami, der uns noch erreichen sollte. Ich scherze mit dem Korrepetitor rum, dass es ja auch Vorteile hat, wenn das Theater nicht über 1'000 Personen fasst. So müsse man den Betrieb nicht einstellen.
Dann der erste Schlag: Direkt nach dem Vorsingen, unterwegs nach Zürich für den nächsten Auftritt, erreicht mich eine E-Mail aus dem Opernhaus. Die Vorstellung darf nur mit einer begrenzten Zuschauerzahl stattfinden. Grund: Corona. Bis dahin habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, was ein Virus tatsächlich für die Kulturszene bedeuten könnte.
Die Vorstellung ist vorbei, einen bitteren Nachgeschmack hat sie bei mir nicht hinterlassen. "Eine etwas übertriebene Vorsichtsmaßnahme", denke ich mir.
Ich fahre zurück nach Bayern, habe ein Konzertprojekt in Augsburg. Die Lage verschlimmert sich, und haarscharf konnten wir unseren 'Giulio Cesare' noch aufführen. Wir verabschieden uns mit einem komischen Gefühl – das war’s dann wohl für eine Weile…
Phase 3 – Die Leere
Innert kürzester Zeit erreicht mich eine Absage nach der anderen. Jobs kann ich erstmal vergessen, aber auch das Studium kann nicht starten. Und was nun?
Ich gehe erstmal zu meinem Freund nach Berlin. Eigentlich eine schöne Nachricht für eine Fernbeziehung. Doch wie gestaltet man seinen Tag? Der Freund hat einen Job, in dem Home Office zum Glück Sinn ergibt. Ich möchte auch gerne produktiv sein, aber irgendwie weiss ich nicht, wo ich anfangen soll. Ich bin es so gewohnt, von einem Projekt zum nächsten zu gehen, dass ich mir selten überlegen muss, was ich als Nächstes vorbereiten soll. Aber wie motiviert man sich, wenn alles stillsteht?
Ich versuche, jeden Tag zu üben, neue Musik kennenzulernen, Sport zu machen, an die frische Luft zu gehen, lecker zu essen, und kann endlich mal wieder Wein genießen, ohne an die Stimme zu denken.
Aber die Leere bleibt.
Schlussendlich liebe ich diesen Job ja auch, weil er so vielfältig ist und mich mit so vielen verschiedenen Menschen zusammenbringt. Ohne diese zwei Komponenten fehlt mir nicht nur der Job, sondern auch ein Teil von meiner Person. Soziale Interaktion ist für meinen Beruf und für mich selbst unabdingbar.
Ich erfahre viele verschiedene Lockdown-Reaktionen aus meinem Umfeld, neben ebenso verzweifelten Freunden sind manche froh über die Auszeit, manche sehen es als Urlaub, manche spüren nur wenig Unterschied zum Alltag davor. Bei mir fühlt sich gar nichts mehr an wie davor. Mein Leben hat sich um 180° gedreht, obwohl ich meinen Winkel gar nicht verlassen wollte.
Phase 4 – Der Alltag
Nach der Einsicht, dass ich genug Mitleid für mich selber empfunden habe und meine Launen meinem Freund nicht mehr zumuten kann (danke für deine Geduld!), befolge ich den Rat meiner Professorin und erstelle mir einen eigenen Stundenplan. Kein vor-sich-hin-lernen mehr. Ich schreibe mir für die ganze Woche auf, was ich an welchem Tag erreichen möchte. Klingt simpel, ist es auch, hat aber eine große Wirkung auf mich. Natürlich nehme ich mir viel zu viel vor, aber alleine die Tatsache, dass man jeden Tag etwas durchstreichen kann, gibt mir ein gutes Gefühl. Und die Tatsache, dass ich theoretisch noch viel zu tun hätte, falls mir langweilig wird, ist in dieser Zeit Gold wert. Trotz der immer noch anhaltenden Frustration habe ich das Gefühl, gerade eine wichtige Lektion zu lernen.
Ich fliege nach Zürich zu meiner Familie, um beim Umzug zu helfen. Dann wird die Quarantäneregelung in Deutschland eingeführt – direkt zum gemeldeten Wohnort, 14 Tage Quarantäne, keine Besuche. In meinem kleinen Münchner Studio alleine eingesperrt zu sein würde in dieser Lage an Masochismus grenzen, also bleibe ich in Zürich. Langsam komme ich mit meinem selbst erfundenen Alltag klar. Ich habe ein bisschen Online Unterricht, Sport darf ich nicht mehr machen, weil ich es davor (natürlich) übertrieben habe, ich verbringe die Abende mit meinen Eltern, und gebe mir jeden Tag ein paar kleine Aufgaben.
Die Sehnsucht nach meinem Leben davor ist nicht kleiner geworden, aber ich fühle mich immerhin nicht mehr verloren in der Leere. Zum Glück ist der Mensch ein Gewohnheitstier.
Phase 5 – Der Weg zur neuen Realität
Die Grenzen werden gelockert, im Studium darf man wieder Einzelunterricht bekommen, ich gehe sofort nach Deutschland – aus Angst, die Grenzkontrolle könnte ihre Meinung doch wieder ändern. Nun bin ich in München, habe einen kleinen Teil meines vorherigen Lebens wieder zurück, und hoffe. Ich hoffe auf ein Wunder. Ich hoffe darauf, bald wieder auf der Bühne stehen zu dürfen.
Ich schaue zu, wie die Restaurants unter mäßig strengen Vorgaben öffnen, die Flugzeuge sich bis zum letzten Sitzplatz füllen, die U-Bahn rangelvoll ist. Irgendwann dürfen dann endlich Theater und Konzertsäle wieder öffnen, aber nur mit 50 Personen pro Zuschauerraum und strengen Hygienevorschriften auf der Bühne. Ich frage mich, wie man auf die Zahl 50 gekommen ist, und was das in einem 1'000-Personen-Saal noch für einen Sinn ergibt. Dann kommen die Schwimmbäder: Je nach Beckengröße wird die Anzahl Besucher errechnet. Ach, es ist also doch möglich. Nur nicht in der Eventbranche. Ich scheine mich in einer Branche zu bewegen, die die Politiker mit dem Motto "First Out Last In" betrachten. Wenn doch bloß die finanzielle Unterstützung der Politiker stimmen würde, sodass wir alle das auch verkraften könnten...
Bei mir persönlich tut sich nicht nur gar nichts, sondern es kommen noch mehr Absagen. Mittlerweile sind fast alle meine Jobs bis Dezember einfach verpufft. Zwar ist die große Frustration vorbei, man hat sich irgendwie daran gewöhnt. Trotzdem tut es weh, die Kultur so lange im Stillstand zu erleben, und ich habe großen Respekt vor den nächsten Monaten. Wie sieht die Zukunft in unserem Beruf aus? Werden die Institutionen diese Zwangspause überleben? Worauf muss ich mich einstellen? Wann darf ich wieder meine geliebte Mischung aus Vorfreude und Lampenfieber verspüren?
Wann muss ich keine Angst mehr vor der Zukunft haben?
To be continued...
Wer sich mit der Lage der Eventbranche während COVID-19 befassen möchte, findet hier alles Wichtige zusammengefasst:
Deutschland:
Schweiz:
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